DIE FLUCHT AUS DEUTSCHSANKTMICHAEL
Dokumentation der Flucht aus Zillasch im Banat 1944
Zeitzeugenbericht erstellt von Elisabeth Heber und Eva Mischl - 24.10.2020
Am 24. September 1944 traten wir – Elisabeth Heber, Jahrgang 1935, und Eva Mischl, Jahrgang 1932 – gemeinsam mit unserer Mutter Katharina Arenz, geb. Roth, Jahrgang 1912, und mehreren Nachbarn die Flucht aus Deutschsanktmichael Richtung Westen an. Unser Vater Michael Arenz, Jahrgang 1911, war seit 1943 zur deutschen Wehrmacht eingezogen.
Mit zwei vollgepackten Pferdewagen fuhren wir zunächst nach Hatzfeld. Dort ließen wir die Pferdewagen zurück, da wir in bereitgestellte Güterwaggons der Eisenbahn umsteigen mussten.
Der Umsturz vom 23. August 1944 führte in Rumänien zu einem extrem schnellen Vormarsch der Roten Armee Richtung Westen. Das deutsche Militär empfahl den Einwohnern von Deutschsanktmichael im September 1944, das Dorf zu verlassen. Insbesondere Frauen mit Kindern sollten unbedingt die Flucht antreten.
Aus Deutschsanktmichael haben sich ca. 50 Prozent der Einwohner zur Flucht entschieden. Davon kehrte nach Ende des Krieges etwa die Hälfte wieder zurück ins Banat. Die restlichen Landsleute sind in Österreich und Deutschland verblieben. Einige von ihnen zogen später weiter in die Vereinigten Staaten.
Von Hatzfeld aus ging es weiter über Serbien nach Ungarn. Wir hatten einen längeren Aufenthalt in der ungarischen Gemeinde Hidasch (ung. Hidas) in der Nähe der Stadt Bonnhard (ung. Bonyhád). Hier wurden wir über drei Wochen bei Familien untergebracht und bei Hilfsarbeiten in der Landwirtschaft eingesetzt, unter anderem bei der Maisernte sowie der Weinlese.
Die Weiterfahrt führte über Wien und Breslau nach Goldberg (poln. Złotoryja). Die Kleinstadt gehörte damals zum Landkreis Goldberg im Regierungsbezirk Liegnitz der preußischen Provinz Schlesien des Deutschen Reiches. Heute liegt sie in der polnischen Woiwodschaft Niederschlesien. Wir wurden in einer Sporthalle untergebracht, in der bereits Doppelbetten aufgebaut waren. Unsere Mutter kam in einer Kantine zum Einsatz. Wir Kinder wurden ab Ankunft von Lehrer Graf aus Sackelhausen unterrichtet.
Als unser Vater Fronturlaub bekam, besuchte er uns in Goldberg. Über das Wiedersehen nach längerer Zeit freuten wir uns alle. Vater erreichte beim örtlichen Wohnungsamt, dass wir auf einem Werksgelände eine Zwei-Zimmer-Wohnung zugeteilt bekamen. Nach Einzug in die Wohnung besuchten wir die örtliche Schule.
Infolge des unaufhaltsamen Vormarsches der Roten Armee mussten wir unsere Flucht fortsetzen. Im Februar 1945 ging es weiter über Dresden, Görlitz und Meiningen nach Schmalkalden in Thüringen, wo man uns in den Ortsteil Asbach brachte und einquartierte. Unser Gepäck war mit einem separaten Zug transportiert worden, der jedoch am 13. Februar in der Nähe von Dresden bombardiert wurde. Wir verloren dadurch unser sowieso spärliches Hab und Gut und besaßen nur noch das, was wir am Leib trugen. Dieses schreckliche Ereignis machte uns bettelarm.
Nach Kriegsende entschlossen wir uns zur Rückkehr ins Banat. Amerikanische Militärautos brachten uns von Schmalkalden über Weimar nach Eisenach, wo wir über sechs Wochen blieben. Von dort ging es ebenfalls mit Militärautos nach Jena und anschließend mit der Eisenbahn weiter bis nach Wien. Nächste Station war dann Pressburg (Bratislava), von wo wir nach kurzem Aufenthalt zurück nach Wien gebracht wurden. Die gesamte Rückreise ins Banat zog sich über einen Zeitraum von mehr als acht Wochen hin, da der Eisenbahnverkehr schwer beeinträchtigt war durch die massiven Kriegszerstörungen.
Von Wien aus fuhren wir weiter durch Österreich und Ungarn bis Arad, wo wir mehrere Tage auf die Ausstellung der nötigen Papiere warten mussten. Während unseres Aufenthalts in Arad wurden alle jüngeren Frauen in einer Wäscherei sowie in einer Kantine eingesetzt. Die letzte Etappe mit der Eisenbahn hatte Temeswar zum Ziel. Die Rückreise war sehr beschwerlich und wir litten unvorstellbar. An allen größeren Bahnhöfen wurden sowohl den Kindern als auch den Erwachsenen Zwieback und Tee gereicht. Die Kleinkinder bekamen Milch. Die schlimmen Ereignisse während unserer Flucht werden wir nie vergessen.
Unser Großvater Nikolaus Arenz, Jahrgang 1887, holte uns am 23. August 1945 am Bahnhof in Temeswar mit einem Pferdewagen ab und brachte uns ins 17 Kilometer entfernte Deutschsanktmichael. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits rumänische Kolonisten aus Nordsiebenbürgen in den deutschen Häusern. Zwei Jahre später kamen noch etwa vierzig Familien Makedonier (Mazedonier) aus der Dobrudscha ins Dorf. Drei Wochen wohnten wir bei unserem Großvater. Währenddessen machten die rumänischen Kolonisten in unserem Elternhaus zwei Räume im hinteren Teil des Gebäudes für uns frei. Während der Kriegshandlungen im Herbst 1944 war unser Haus durch die sowjetischen Truppen, die von unserer Nachbargemeinde Rumänischsanktmichael aus unseren Heimatort unter Beschuss genommen haben, erheblich beschädigt worden. Für uns Kinder kam eine schwere Schulzeit, da wir in rumänischer Sprache unterrichtet wurden, einer Sprache, der wir nicht mächtig waren, und die eingesetzten Lehrer kein Deutsch sprachen.
Unser Vater geriet in amerikanische Gefangenschaft und kehrte nach einem Aufenthalt in Bäumenheim (Bayern) im August 1946 zurück ins Banat. Die Enteignung des gesamten Feld- und Grundbesitzes wie auch die Anwesenheit der rumänischen Kolonisten im Haus machten ihm schwer zu schaffen. Die schwierigen Verhältnisse im Dorf sowie die Verschleppung vieler Frauen und Männer im Januar 1945 zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion führten zu Not und Elend. Die in unserem Elternhaus einquartierte rumänische Familie mit acht Kindern zog 1948 zurück nach Nordsiebenbürgen. Somit konnten wir unser Haus wieder vollständig bewohnen.
Unsere Eltern konnten gemeinsam mit einem Teil der Familie im Oktober 1980 in die Bundesrepublik aussiedeln. Der restliche Teil der Familie folgte im Februar 1982 nach Karlsruhe.
Wir sind dankbar, dass wir eine neue Heimat in der Bundesrepublik gefunden haben und beten dafür, dass es nie wieder zu Krieg, Flucht und Vertreibungen in Europa kommt.
Foto1: Katharina Arenz geb. Roth mit ihren beiden Töchtern Elisabeth verh. Heber und Eva verh. Mischl im Fluchtjahr 1944.
Foto2: 1943, als die Familie Arenz aus Deutschsanktmichael noch beisammen war: die Eltern Michael und Katharina Arenz geb. Roth mit ihren beiden Töchtern Eva (links) und Elisabeth
English version of the story
The escape from Deutschsanktmichael
Documentation of the escape from Zillasch, Banat in 1944
by Elisabeth Heber and Eva Mischl - 24.10.2020
On September 24, 1944, we - Elisabeth Heber, born in 1935, and Eva Mischl, born in 1932 - together with our mother Katharina Arenz, née Roth, born in 1912, and several neighbors started the escape from Deutschsanktmichael towards the West. Our father Michael Arenz, born in 1911, had been called up to the German Wehrmacht since 1943.
With two fully packed horse-drawn wagons we first drove to Hatzfeld. There we left the horse-drawn wagons behind, as we had to transfer to freight railroad wagons that had been made ready.
The political coup of August 23, 1944, led to an extremely rapid advance of the Red Army westward in Romania. The German military recommended the inhabitants of Deutschsanktmichael to leave the village in September 1944. Women with children in particular were advised to leave at all costs.
About 50 percent of the inhabitants of Deutschsanktmichael decided to flee. Of these, about half returned to the Banat after the end of the war. The rest remained in Austria and Germany. Some of them later moved on to the United States of America.
From Hatzfeld we continued our journey via Serbia to Hungary. We had a longer stay in the Hungarian community of Hidasch ( Hungarian: Hidas) near the town of Bonnhard ( Hungarian: Bonyhád), where we were accommodated for more than three weeks at local families and employed in auxiliary work in agriculture, among other things in the corn and the grape harvest.
The journey continued via Vienna and Breslau to Goldberg (Polish: Złotoryja). At that time, the small town belonged to the district of Goldberg in the Liegnitz administrative district of the Prussian province of Silesia in the German Empire. Today it is located in the Polish Lower Silesia Voivodeship. We were housed in a sports hall where double beds had already been set up. Our mother began to work in a canteen. We children were taught by teacher Graf from Sackelhausen from the time of our arrival.
As our father got some front leave, he visited us in Goldberg. We were all happy about these get-together after a long time. Father managed to get the local housing office to assign us a two-room apartment on a factory site. After moving into the apartment, we attended the local school.
As a result of the unstoppable advance of the Red Army, we had to continue our escape. In February 1945 we continued via Dresden, Görlitz and Meiningen to Schmalkalden in Thuringia, where we were quartered in the Asbach district. Our luggage had been transported by a separate train, which was bombed near Dresden on February 13. As a result, we lost our poor belongings and possessed only what we wore on our bodies. This terrible event left us in poverty.
After the end of the war we decided to return to the Banat. American military cars took us from Schmalkalden via Weimar to Eisenach, where we stayed for more than six weeks. From there we also went by military car to Jena and then by train to Vienna. The next stop was Pressburg (Bratislava), from where we were brought back to Vienna after a short stay. The entire return journey to the Banat dragged on for a period of more than eight weeks, since railroad traffic was severely affected by the massive destruction caused by the war.
From Vienna we continued through Austria and Hungary to Arad, where we had to wait several days for the necessary papers to be issued. During our stay in Arad, all the younger women were put to work in a laundry as well as in a canteen. The last leg of the journey by train was to Timisoara. The return trip was very burdensome and we suffered unimaginably. At all the larger stations, both, children and adults were given rusks and tea. The small children were given milk. We will never forget the terrible events during our escape.
Our grandfather Nikolaus Arenz, born in 1887, picked us up at the train station in Timisoara on August 23, 1945 with a horse-drawn wagon and took us to Deutschsanktmichael, 17 kilometers away. At that time Romanian colonists from northern Transylvania were already in the German houses. Two years later, about forty more families of Macedonians from Dobrudja came to the village. For three weeks we lived with our grandfather. Meanwhile, in our parents' house, the Romanian colonists made two rooms in the back of the building free for us. During the war actions in the fall of 1944, our house was considerably damaged by the Soviet troops, who shelled our hometown from our neighboring village Romanian Sanktmichael. For us children came a hard time at school, as we were taught in Romanian, a language we did not know, and the assigned teachers did not speak German.
Our father was taken prisoner by the Americans and after a stay in Bäumenheim (Bavaria) he returned to Banat in August 1946. The expropriation of the entire field and land property as well as the presence of the Romanian colonists in the house were very hard for him. The difficult conditions in the village as well as the deportation of many women and men in January 1945 for forced labor in the Soviet Union led to hardship and misery. The Romanian family with eight children that had been quartered in our parental home moved back to northern Transylvania in 1948. Thus we were able to fully occupy our house again.
Our parents, together with part of the family, were allowed to resettle to the Federal Republic of Germany in October 1980. The remaining part of the family followed in February 1982 to Karlsruhe.
We are thankful that we found a new home in Germany and pray that there will never be war, fleeing and forced displacement in Europe again.